Am 04. Oktober 2021 verabschiedet sich der Facebook-Konzern für knappe sechs Stunden von sämtlichen Bildschirmen dieser Welt. Viele Menschen empören sich über die Störung, manche Stimmen sind sogar schadenfroh. Uns allen wird einmal wieder klar, wie stark Facebook in unserer Gesellschaft verankert ist. Doch nicht nur das. Die wirtschaftlichen Folgen dieses Vorfalls zeigen die Machtstellung klar auf. Ob das etwas verändern wird, ist jedoch zu bezweifeln.

Es ist 16:50 Uhr, ein gewöhnlicher Montagabend. Patrick Scherz, Social Media Manager beim Modelabel Nikin, postet den letzten manuellen Instagram-Beitrag für heute und geht dann in den Feierabend. Patrick hat noch einen langen Nachhauseweg vor sich. Die eineinhalbstündige Autofahrt nutzt er jeweils, um vom Arbeitsalltag abzuschalten. Er verlässt sein Büro, setzt sich ins Auto und startet den Motor. Wie immer hört er auf dem Heimweg seinen Lieblingsradiosender. Er schnappt gerade noch die letzten Fetzen einer Newsmeldung im Radio auf: „… Facebook ist zurzeit nicht erreichbar.“. Patrick denkt sich nichts dabei, er geht von einer regionalen Störung aus. Doch bald darauf erklingt die nächste Meldung: „Facebook hat derzeit weltweite Störungen. Whatsapp, Instagram und Facebook sind down.“. Nach dieser Nachricht wird sich Patrick über das Ausmass bewusst und er wundert sich: „Was zur Hölle ist dort los? Wie kann so etwas überhaupt passieren?“

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Den Zusammenhang zu seiner Arbeit, realisiert er allerdings erst gegen 20:00 Uhr. Er stellt erschrocken fest: „Oh Shit! Nikin ist ja verdammt abhängig von Facebook … hoffentlich kriegen die das bald in den Griff!“. Jedoch lässt sich Patrick nicht verrückt machen: „Wir waren dem Shutdown ausgeliefert. Ich wusste, ich kann nichts an der Situation ändern.“ In der Nacht auf den Dienstag kann das Problem zum Glück von Facebook behoben werden und alles funktioniert am Dienstagmorgen wieder. Der Post, den Patrick am Vorabend noch gepostet hat, ging zwar online, hat aber einiges an verlorener Reichweite aufzuholen.

Facebook hat die Macht

Facebook ist die grösste internationale Social-Media-Plattform. Mit seinen Tochterfirmen WhatsApp, Facebook Messenger und Instagram, belegt der Megakonzern vier der ersten fünf Plätze, der meistgenutzten Social Networks weltweit. Ungefähr 2,7 Milliarden Menschen nutzen täglich die Dienste der Facebook-Produktpalette. Das sind bei knapp acht Milliarden Menschen auf dieser Welt, mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung. In der Schweiz sind es sogar mehr als die Hälfte aktiver Nutzer im Vergleich zur Einwohnerzahl. Dabei dienen die Plattformen nicht nur für den sozialen Austausch, sondern bewegen sich als wirtschaftliche Drehscheiben in unserer Gesellschaft. Wie kam es eigentlich zum Ausfall? In einem Beitrag von „Focus online“ wird der Hergang vereinfacht wie folgt beschrieben: „Die Dienste von Facebook, WhatsApp und Instagram sind noch da. Es fehlt im Internet nur die Verknüpfung dorthin. Als hätte jemand auf einer Autobahn die Ausfahrtsschilder zu den "Orten" Instagram, WhatsApp und Facebook entfernt.". Der Crash dauert ungefähr sechs Stunden an und führt zu einem kurzfristigen Absacken der Facebook-Aktie um fünf Prozent. Daraus resultieren ungefähr sechs Milliarden US-Doller Verlust für den Facebook-CEO Mark Zuckerberg. Facebook selber soll gemäss Schätzungen zwischen 70 und 80 Millionen US-Doller Schaden erlitten haben. Im Vergleich zum gesamtwirtschaftlichen Schaden, hält sich dieser Verlust noch in Grenzen. Die Überwachungsorganisation «Netblocks» hat den entstandenen Schaden analysiert und hat einem Gesamtverlust von einer knappen Milliarde berechnet.

Instagram-Bild

Auswirkung auf die Schweiz

Auch in der Schweiz spielt Facebook als Werbeplattform eine grosse Rolle. Bei einer Umfrage von Statista geben 90% der befragten Schweizer Unternehmen an, Facebook als Werbeplattform zu nutzen. Für alle Unternehmen, die für während dieser sechs Stunden Ausfall für Ads bezahlt haben, bedeutet dass verlorenes Geld. Dieses von Facebook zurück zu holen, stellt sich als schwierig dar, wie Patrick Scherz erklärt: „Wir sind derzeit mit Facebook in Abklärung. Wir wissen selbst nicht, wann, wo und wie viel Geld verloren ging, da es schwer nachzuvollziehen ist und daher auch schwierig für die Rückerstattung. Wir hatten allerdings Glück mit dem Zeitpunkt. Einerseits war es ein Montagabend, da läuft generell nicht so viel – vielleicht weil das Wochenende zu teuer war – und auf der anderen Seite, hatten nur unsere Standard-Ads geplant. Das sind nicht so riesen Beträge. Daher rechnen wir mit einer Einbusse im 4- bis 5-stelligen Bereich. In der Woche darauf, haben wir eine Kampagne lanciert. Mit Social Media Posts, print und TV-Werbung. Da steckte im Vergleich viel mehr Planung und Budget dahinter. Das wäre fatal für uns gewesen!“ Neben Nikin sind auch viele weitere Schweizer Unternehmen vom Ausfall betroffen. Beispielsweise kann das Bundesamt für Gesundheit ihre Impf-Kampagne nicht wie geplant lancieren. Die Störung betrifft die bevorzugte „Playtime“ zur Pendlerzeiten am Feierabend. Auch Denner, Migros und die Swiss können geplante und bezahlte Schaltungen nicht durchführen. Für diese grossen Unternehmen ist der Ausfall allerdings nicht schlimm. Gemäss Migros-Sprecher Patrick Stöpper, liegt der Fokus klar auf dem stationären Handel. Soziale Medien spielen eine untergeordnete Rolle. Sie werden eher als weiteres Kommunikationsmittel anstelle eines Verkaufskanals genutzt. Stärker getroffen hat es Firmen, die fast ausschliesslich auf Social Media werben und teilweise sogar ihre Produkte darüber verkaufen. Denn für diese Firmen bedeutet der Ausfall nicht nur verlorene Werbekosten, sondern auch der Wegfall von Aufträgen und Umsatz. Dazu gehört auch Nikin. Patrick Scherz erklärt: „Es ist klar, dass wir Umsatz verloren haben. Denn die meisten Leute kommen via Instagram oder Facebook-Ads auf unsere Website.“. Laut „der Bund“ soll Nikin sogar um die dreissig Prozent Umsatzverlust verzeichnet haben. Das StartUp und Nachhaltigkeits-Modellabel Nikin ist stark von Facebook abhängig. Die Marke ist auf Basis von Social Media aufgebaut und erreicht damit ihre Bekanntheit. Neben den gekauften Ads sind die Plattformen auch ein wichtiger Bestandteil des Corporate Brandings. Facebook und Instagram sind deren Hauptkommunikationskanäle. Dabei werden 80 Prozent des jährlichen Werbebudgets in Instagram und Facebook investiert. Auf die Frage, ob Nikin mit den neuen Erkenntnissen etwas verändert, erwidert Patrick folgendes: „Wir sind uns das Risiko bewusst, ändern wird sich jedoch für uns nichts. Es sind immer noch unsere grössten Kanäle, bei denen wir die meisten Menschen erreichen. Da weltweit sehr viele Menschen diese Plattformen benutzen, ist es immer noch die beste Möglichkeit, für relativ faires Geld, eine grosse Menge zu erreichen. Sollte Facebook jemals komplett down gehen, dann wären wir auf gut Deutsch gesagt, am Arsch.“

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Für Influencer ist der Ausfall ein kurzer Schockmoment. Sarah Schmid, Marketing Managerin bei der Agentur Kingfluencers, erklärt im „der Bund“: „Weil zu Beginn niemand wusste, wie lange der Ausfall andauern würde, fürchteten einige um ihre Daten und Followers oder gar um ihre Existenz.“ Die Zürcher Werbeagentur, Sir Mary, geht gemäss eines „der Bund“- Artikels von einem Einbruch der Reichweite und damit auch Einnahmen von rund 55 Prozent gegenüber dem Vortrag aus. In gewissen Regionen auf dieser Welt, haben die Facebook-Plattformen einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. WhatsApp wird häufig als Kundenhotline verwendet, um damit Termine zu vereinbaren und Zahlungen zu versenden. Meistens betrifft das Menschen, die nur von ihrem Tagesverdienst leben und kein wirkliches „Polster“ haben. Betroffene können in der Zeit des Ausfalls keine lebensnotwenigen Geschäfte abwickeln. Dazu kommt, dass in Entwicklungsländern, wie beispielsweise Ghana, das Telefonfunknetz so schlecht ausgebaut ist, dass fast sämtliche Kommunikation via Facebook Messenger oder WhatsApp abläuft. Diese Menschen sind sechs Stunden von der Aussenwelt abgeschottet.

Tiktok auf der Überholspur

Nikin glaubt an keine grosse Veränderung für Unternehmen in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren. «Die Plattformen Instagram und Facebook haben sich so etabliert, das kann ich mir schwer vorstellen. Aber ich denke, es werden andere und neue Kanäle wichtig werden. Tiktok hat beispielsweise ein immenses Wachstum. Schneller als Facebook jemals hatte. Ich habe das Gefühl, dass bereits in zwei Jahren, Facebook nicht mehr unser zweitgrösster Kanal sein wird, sondern Tiktok.», so Patrick Scherz. Tiktok könnte werbetechnisch in vier, fünf Jahren immer wie interessanter werden. Denn neben dem rasanten Wachstum, verändert sich auch die Zielgruppe. Die heute 14-jährigen User, werden über 18 Jahre alt sein und damit auch kaufkräftiger.

Die wahren Gewinner des Crashs

Die Konkurrenz freut sich über den Ausfall, denn diese stellen überdurchschnittlichen Traffic auf ihrer Plattform fest. Da bei Facebook nichts mehr läuft, sieht sich der Riese gezwungen, sämtliche Updates zur Störung via Twitter zu teilen. Gefühlt die ganze Welt versammelt sich auf Twitter und der Kurznachrichtendienst schrieb scherzhaft: „hello, literally everyone!“. Auf Twitch verzeichnen „kleine Streamer“ einen plötzlichen Anstieg der Zuschauer und die Websuchanfragen «Telegram», «Signal» und „Treema“ schiessen in die Höhe. Auch Telefonanbieter können sich freuen. Es wird überdurchschnittlich viel telefoniert und die altbewährte SMS in einem neuen Ausmass versendet.

Instagram-Bild

Keine Veränderung in naher Zukunft

Facebook ist mit seiner Grösse so stark in unserer Wirtschaft und Gesellschaft verankert, dass sich Unternehmen werbetechnisch nur schwer entziehen können. Wer zeitgemäss auftreten will und sich eine Reichweite aufbauen möchte, kommt um die Plattformen nicht herum.

Eine Veränderung wird es aktuell keine geben, dafür ist Facebook schlichtergreifend zu gross.

Das sieht auch die amerikanische Handelsbehörde FTC so. Facebook wird im August 2021 zum zweiten Mal für den Aufkauf von Instagram und WhatsApp verklagt. Der Vorwurf lautet, dass Facebook mit dem Kauf der Unternehmen, potenzielle Konkurrenz aus dem Weg geräumt habe und damit ein Monopol geschaffen. Die Behörden verlangen von Facebook, die Übernahme von WhatsApp und Instagram zu revidieren. Daraus könnte ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Facebook und der Federal Trade Commission (FTC) resultieren und „worst-case“ könnte Facebook die Zerschlagung des Konzerns drohen. Nicht nur deswegen, ist es Unternehmen und Creatorn geraten, ihre Internetpräsenz auf mehrere Plattform-Anbieter auszuweiten.

Autor

Über die Autorin

Mein Name ist Mariel Kammermann, bin 23 Jahre alt und ich habe im September 2021 ins erste Semester des Mulimedia Production Studiengang (BSc) gestartet. Mit dieser Arbeit habe ich das Modul Visualisieren I abgeschlossen. Dieses setzt sich aus Sprechen & Schreiben, Mediengestaltung und Sketch & Draw zusammen.